profil, Wien, Mai, 1999
DASS DIE GESELLSCHAFT DIE KUNST FÜRCHTET
Gottfried Helnwein über seine späte Entdeckung der Renaissance und
den Performance-Künstler Muhammad Ali
Horst Christoph
profil:
Sie sind Anfang der siebziger Jahre mit dem Satz zitiert worden "Ich habe
von Walt Disney mehr gelernt als Leonardo da Vinci". Ein damals provokantes
Statement für einene Absolventen der ehrwürdigen Wiener Akademie
der bildenden Künste am Schillplatz. Unterschreiben Sie den Satz heute
noch?
Helnwein:
Er stimmt nur noch zum Teil. Ich sehe die Dinge heute viel differenzierter.
profil:
Es ging um die Grenzen zwischen E- und U-Kunst, zwischen sogenannter ernster
und sogenannter Unterhaltungskunst, die Sie strikt ablehnten?
Helnwein:
Das hat für mich mehr denn je Gültigkeit. Alles, was ich inzwischen
erlebt habe, bestätigt, dass diese Unterscheidung willkürlich und
falsch ist. Es gab da inzwischen im Museum of Modern Art in New York diese
Ausstellung
"High and Low". Da sind die Kunstexperten von ihrem Olymp heruntergestiegen
und haben die Comics genauso Ernst genommen wie die Kultbilder, zu denen sie
Roy Lichtenstein aufgeblasen hat. Der "Witzezeichner" Robert Crumb
wurde plötzlich als grosser Künstler entdeckt, dessen Arbeiten heute
immense Preise erzielen. Oder nehmen Sie den Grenzgänger Oliviero Toscani
mit seinen Benetton-Plakaten - das ist aufregender als vieles, was in den grossen
Museen hängt.
profil:
Was hat Sie selbst zur U-Kunst oder Low-art gebracht?
Helnwein:
Mich hat der ganze Kulturbetrieb nicht interessiert. Mich haben von Kind an
Comics interessiert und Musik, die Rolling Stones und Jimi Hendrix, und ich
habe mir immer gesagt, so müsste man auch malen können. Ich habe
natürlich am Anfang Bilder gemacht, und die sollten ausgestellt werden,
aber ich habe immer das Gefühl gehabt, das kann's nicht sein. Und dann
kam diese Idee, ein Cover zu machen, für Profil. Das war für mich
so eine Sternstunde. Ich habe gedacht, das ist phantastisch, da liegt mein
Bild injeder Trafik (=Kiosk) und jeder, der dort mit fadem Auge seine Zigaretten
kauft, muss wenigstens kurz draufschaun. Ich habe das als eine Ausstellung
gesehen, die in ganz Österreich läuft.
profil:
Das war 1973, und Sie haben in den folgenden Jahren für alle internationalen
Top-Magazine gearbeitet, von "Spiegel" und "Stern" bis "L'Espresso"
und "Time". Wie ist das im Einzelfall vor sich gegangen?
Helnwein:
Ich war nie in meinem Leben ein Gebrauchsgrafiker oder Illustrator, sondern
ich habe einfach die Magazine für meine Themen benützt...
profil:
Physische Gewalt, Verletzung, Folter...
Helnwein:
...und die Magazine haben mich benützt fuer ihre Coverstories über
Selbstmord, Manipulation der Intelligenz, ärztliche Kunstfehler, Drogen,
Angst...
profil:
Ihre Themen - die verdrängte, versteckte und perfide Gewalt, als deren
Opfer Sie immer wieder das Kind ausfindig machten - waren damals tatsächlich
Generalgegenstand der kritischen Medien: als Korrektur zur Zukunftseuphorie
und zur Verdrängung der Vergangenheit, wie sie in Österreich fuer
die Kreisky-Äratypisch waren?
Helnwein:
Ich habe damals, parallel mit Manfred Deix, einen profil-Cartoon über
die Tötung von Kindern unter dem NS-Psychiater Heinrich Gross gemalt:
dem Kopf eines Kindes in einem Teller mit vergiftetem Speisen. Jetzt, nach
zwei Jahrzehnten, habe ich das Foto von so einem Kind, präpariert in Formaldehyd,
gesehen. Es hatgenauso ausgesehen wie das auf meinem Bild.
profil:
War es schwer, Ihre Titelbilder zu verkaufen? Ihr zweites profil-Cover - ein
zwischen Erwachsenenhänden gequetschter Kinderkopf zum Thema Intelligenzmanipulation
- provozierte eine bis dahin nicht erlebte Leserempörung, inclusive Abbestellungen
von Abonnements.
Helnwein:
Etwa zwei Drittel dessen, was ich gemacht habe, ist nie erschienen, weil es
entweder zu extrem war oder nicht gepasst hat. Besonders der "Spiegel"
war da sehr heikel. profil hat sich einiges mehr getraut.
profil:
Ihr Thema war und ist die alltägliche Gewalt. Die hat auch - in seinen
Siebdrucken über Autounfälle, Flugzeugabstürze oder elektrische
Stühle - Andy Warhol behandelt. Im Gegensatz zu ihm aber haben Sie Ihren
Fotovorlagen einen Twist ins Unheimliche, Makabre gegeben, der Ihnen in den
Medien den Titel "Schockmaler" eingetragen hat.
Helnwein:
Ich bin eben nicht in Amerika, sondern in Österreich aufgewachsen. Dieses
Abgründige, Schwarze, der Schmerz, das ist schon sehr Österreichisch.
Es ist halt kein Zufall, dass Sigmund Freud oder Leopold Ritter von Sacher-Masochaus
diesem Biotop kommen. Oder der Bildhauer Franz Xaver Messerschmidt mit seinen
grimassierenden "Charakterköpfen".
profil:
Die übrigens wiederum Arnulf Rainer fasziniert haben. Es erstaunt, dass
Sie sich als österreichischer Künstler sehen; Sie haben doch Österreich
den Rücken gekehrt.
Helnwein:
Mich hat immer Unzufriedenheit mit dem, was ich gerade mache, weitergebracht.
So habe ich Anfang der achtziger Jahre einen radikalen Schnitt vollzogen. Ich
habe mit den Covers aufgehört, endgültig, das was ausgereizt. Und
ich bin mit meiner Familie nach Deutschland gegangen - auf Distanz zum Bekannten,
Vertrauten. Ich habe dabei eine ungeheure Freiheit empfunden und schlagartig
anders gemalt. Erst in der Distanz ist mir auch dieses Österreichische
bewusst geworden, und habe ich es kritisch weiterentwickeln können. Ich
brauche die Distanz. Ganz im Gegensatz zu meinem immer noch besten Freund Manfred
Deix. Der braucht Nähe, um produktiv zu sein.
profil:
Peter Gorsen, der Kunsthistoriker, der Sie von Anfang an ernst nahm, beschrieb
Ihre frühe Arbeit als Beispiel für Walter Benjamins Foderung an "Das
Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit". Sie selbst
haben einmal das Originalkunstwerk als den "Edelabfall" bezeichnet,
der nun einmal notwendig ist als Vorlage für die Ihnen wichtiger erscheinenden
Reproduktionen. Das gilt aber offensichtlich schon lange nichtmehr. Sie stellen
jetzt vorwiegend Originalbilder her.
Helnwein:
Da hat es auch so eine Zäsur gegeben. Mich haben lange Zeit die tivialen
Qualitäten interessiert, die für die Kultur des20. Jahrhunderts wichtig
sind: Donald Duck, Comics, Rockmusik, Film. Ich habe mich ganz bewusst der
Museumskunst verweigert und diese nicht einmal wahrnehmen wollen. Es war dann
in der National Gallery in Washington, dass mir ein Bild von Kadinsky,- dessen
Kringeln und Striche mir auf den Reproduktionen, die ich kannte, immer als
besondere Scheisse vorgekommen waren - ein richtigen Schock versetzt hat. Das
hat vibriert, da war eine unglaubliche Energie konzentriert, und da habe ich
gemerkt, es gibt Dinge, die man nicht reproduzieren kann, die nur als Original
Qualität haben.
profil:
Haben Sie damals auch Ihr Verhältnis zu Leonardo revidiert?
Helnwein:
Das war noch später. Ich bin erst vor etwa zehn Jahren zum ersten mal
in den Uffizien in Florenz gewesen. Ich hatte vorher noch nie Renaissancebilder
gesehen und habe mir diese ganz distanziert angeschaut, ohne positive oder
negative Vorurteile. Einfach so, wie man Arbeiten von Kollegen sieht und sich überlegt,
wie macht der das und welche Wirkumg erzielt er damit. Und da habe ich Bilder
gesehen, die mich ungeheuer beeindruckt haben. Da habe ich schockartig erfahren,
was die Aura oder die Magie eines Originals ist. Die wird es immer geben. Trotz
aller technischer Medien, trotz Cyberspace. Es wird immer neben dem Film das
Theater und die Performance geben. Neben der CD den schwitzenden Rockmusiker
auf der Bühne.
profil:
Ihre Bilder hängen inzwischen in anerkannten Museen, dem Folkwang-Museum
in Essen, im Smithonian Institute in Washington. Besitzt das Museum moderner
Kunst in Wien Helnweins?
Helnwein:
Nein, aber die Albertina hat Blätter.
profil:
In der Ausstellung, die Sie gerade in der Dominikanerkirche in Krems vorbereiten,
fallen ausgesprochene Grossformate auf, auch mehrteilige grossformatige Bilder.Was
bedeutet Ihnen die Größe eines Bildes?
Helnwein:
Große Bilder sind eine Herausforderung, sie machen mir Spass. Ich habe
inzwischenauch die Bedeutung von Räumen für Bilder erkannt, wie hier
in dieser Kirche. Es gibt heute viel zuwenig Bilder, die für Räume
gemacht werden.
profil:
Ihre Themen sind die gleichen geblieben, Ihre Ausdrucksmittel haben sich sehrerweitert:
Es gibt die Fotografie, die nachgemalte eigene oder fremde Fotografie, die
fotografierte Aktion, oder umgesetzt in Malerei, den grossformatigen Druck
auf Kunststoff. Sie arbeiten mit dem Computer und nachwie vor mit dem Zeichenstift...
Helnwein:
Im Vordergrund steht immer das Thema. Ich bin Künstler geworden, weil
ich Themen, die mich bewegt haben, vermitteln wollte, und habe nach Techniken
gesucht, die das rasch und überzeugend umsetzen. Ich finde es herrlich,
dass jetzt, am Endedes Jahrhunderts, alle Techniken, Stile und Medien gleichberechtigt
nebeneinander stehen. Dass sich der Künstler ihrer bedienen kann, ohne
deswegen in Kategorien oder Hierarchien gezwängt zu werden.
profil:
Sie haben immer wieder Menschen fotografiert oder gemalt, häufig waren
das gebrochene Portraits, die die Kehrseite von Medienidolen zeigten - Keith
Richards, Andy Warhol, Michael Jackson. Eine Person aber hat Sie ganz besonders
beeindruckt: Muhammad Ali, nach dem Sie sogar Ihren Sohn Ali genannt haben.
Was hat Sie an diesem Boxer so fasziniert?
Helnwein: Die Kategorie Boxer fällt mir bei seinem Namen zuletzt ein.
Muhammad Ali ist für mich ein begnadeter Performance-Künstler. Was
er gemacht hat, ist für mich bedeutende Kunst: Wie er aufgetreten ist,
wie er mit dem Medien gespielt hat, seine Posen, sein Gestus. Er war ein genialer
Spassmacher, ein Dichter, Sänger, Tänzer. Denken Sie an den Ali-Shuffle.
profil:
An die Fransen an seinen Stiefeln, die im Fernsehen den Blick magisch auf sein
Beinspiel gezogen haben.
Helnwein:
Mich hat fasziniert, wie viele Menschen da bei uns um drei Uhr in der Nacht
gesessen sind, um diesen schrecklichen Kampf gegen Joe Frazier zu sehen...
profil:
Bei dem das amerikanische Fernsehen Alis Niederschlag wieder und wieder in
Zeitlupe gezeigt hat, so als wolle man ihn tausend Tode sterben lassen.
Helnwein:
Das war blanke Rache für einen einzigen Satz, der zu den wichtigsten Aussagen
dieses Jahrhundert gehört. Muhammad Ali hat als Schwarzer gesagt: "Ich
binder Grösste." Das durfte in Amerika kein Schwarzer sagen, aber
Muhammad Ali hat es gesagt. Das war ärger als seine Namensänderung,
sein Übertritt zum Islam und dieWehrdienstverweigerung im Vietnamkrieg.
Wenn er, einer der charismatischsten, liebenswertesten und warmherzigsten Menschen,
die ich je getroffen habe, sich jetzt mit seiner Parkinsons-Krankheit so erbärmlich
dahinschleppt, so sehe ich darin die Rache der Gesellschaft am Künstler.
Gleichzeitig aber ist Muhammad Ali der Beweis dafür, dass die Gesellschaft
die Kunst ernstnimmt und fürchtet.
Die Ausstellung: APOKALYPSE. Malerei, Fotografien, computergenerierte Bilder
von Gottfried Helnwein. Im Rahmen des niederösterreichischen "donau
festival99" in der Dominikaner Kirche Krems, 13. Juni bis 31. August,
Di.-So.,10-19 Uhr.
For complete interview with pictures, click here: http://www.gottfried-helnwein.at/presse/local_press/artikel_30.html